Kapitel 04: Gefährliches Halbwissen

Rund um die Optik gibt es eine Menge Aussagen, von denen wir sicher sind, dass sie wahr sind.
Umso überraschender mag die Länge der folgenden Liste von Aussagen sein, die so nicht stimmen

Halbwissen zum Thema Licht

Die Lichtgeschwindigkeit ist konstant und für alle Lichtfarben gleich

Diesem Satz fehlen zur Korrektheit die Wörter ‚.. im Vakuum ..‘.
Jedes Objektiv, sogar jede Lichtbrechung und Reflexion, baut im Gegenteil darauf auf, dass die Lichtgeschwindigkeit sich in unterschiedlichen Medien ändert (und langsamer als im Vakuum ist).
Außerdem muss es statt Farben „Wellenlängen“ heißen : Farben gibt es nicht!

Licht ändert seine Richtung innerhalb eines Mediums nicht.

Nur innerhalb von unbewegten Medien mit konstantem Brechungsindex gültig.
 Licht wird z.B. von schnellfliessendem Wasser abgelenkt!
 Es gibt Beispiele, etwa GRIN-Linsen , die abhängig von ihrer Länge eine andere Brennweite haben.
 Bekannte Ausnahmen sind die Fata-Morgana oder die Schlieren oberhalb von heißem Asphalt im Sommer:
 Heiße Luft hat einen geringeren Brechungsindex als kühlere, also spiegelt sich der Himmel an der heißen Schicht direkt über der Straße / Wüste.
Heiße Luft direkt über Kerzen verursache Schlieren, die das Licht ablenken weil heißere Luft einen geringeren Brechungsindex hat.
Die verbreitetste Ausnahme (wenn auch nicht „offensichtlich“ 😉 ) ist jedoch die Linse des Auges, die radial (=entlang der Richtung Rand-Mitte) einen sich ändernden Brechungsindex hat.

Halbwissen zum Thema Glas

Glas ist durchsichtig

Nicht immer richtig:
Bringt man zwischen ein telezentrisches Objektiv und eine telezentrische Lichtquelle, die genau aufeinander ausgerichtet sind, eine Glasflasche, so erscheint diese auf dem Bild größtenteils tief schwarz.
Diese besondere Anordnung erlaubt nur achsenparallelem Licht zu passieren, das Glas bricht das Licht aber: eintreffende achsenparallele Strahlen sind nach der Glasflasche i.a. nicht mehr parallel. Man erkennt das leicht wenn das Auge mal „Sensor“ spielt: Eine Glasflasche verzerrt was hinter der Glasflasche ist ganz schön.

Jede Glassorte hat einen anderen Brechungsindex

Das Wort ‚einen‘ ist hier falsch.
Optische Gläser haben für jede Wellenlänge einen anderen Brechungsindex. Brechungsindizes verschiedener Farben (z.B. rot / blau) stehen zwar in jeder individuellen Glassorte in einem festen Verhältnis, in der nächsten Glassorte ist es aber schon ein anderes.

Halbwissen zum Thema Objektive

Objektive sind durchsichtig.

Objektive für Wärmebildkameras sind z.B. aus Germanium gemacht. Sichtbares Licht geht durch diese Objektive nicht hindurch.

Objektive für große Sensoren können auch auf allen kleineren Sensoren eingesetzt werden.

Ein Kunde hatte von seinem Kollegen die Auskunft bekommen, dass das alte 2/3″ auf dem neuen 1/2″ Sensor schlechtere Bilder liefere und mochte dies gar nicht glauben. Dies ist jedoch dann möglich, wenn der kleinere Sensor kleinere Bildpunkte als der große hat.

Öffnungswinkel und Brennweite sind äquivalent.

Das hieße, dass Objektive größerer Brennweite immer einen kleineren Sichtbereich ( FOV ) haben.
Das muss aber nicht so sein!

Ein 2 cm langes f=6mm-Objektiv bei gleicher Kameraposition einen größeren (!) Sichtbereich als ein 4 cm langes f=5.8mm Objektiv haben.

Sogar zwei gleichlange Objektive mit gleichem Bildwinkel können unterschiedliche FOV haben !!!, nämlich wenn die Hauptebenen(?) der Objektive unterschiedliche Positionen haben!

Objektive mit gleichem Öffnungswinkel, gleicher Länge und gleicher Brennweite haben das gleiche FOV.

Das stimmt nicht unbedingt, Wenn die Objektive nämlich unterschiedliche Hauptebenen haben, können die anderen Masse gleich sein und das Objektiv sieht trotzdem einen anderen Ausschnitt

Je größer die (scheinbare) „Öffnung“ eines Objektives ist, desto lichtempfindlicher ist es.

Dies gilt nur für Objektive gleicher Brennweite!
Bei Weitwinkelobjektiven ist bei gleicher Lichtempfindlichkeit die scheinbare Öffnung kleiner als bei Objektiven größerer Brennweite! Das bedeutet das ein Objektiv mit scheinbar kleinerer Öffnung durchaus lichtempfindlicher sein kann als eines mit einer scheinbar größeren.

Objektive gleicher Brennweite haben den gleichen Öffnungswinkel.

Manche Hersteller nennen ein Objektiv mit z.b. 8.3 mm Brennweite „8mm“ Objektiv. Dadurch können Objektive scheinbar „gleicher“ Brennweite durchaus unterschiedliche Öffnungswinkel haben.
Außerdem können Objektive gleicher Brennweite aber mit unterschiedlicher Verzeichnung unterschiedlich viel sehen.

Je kleiner die Brennweite desto größer die Schärfentiefe.

Das ist i.a. falsch:

Mit FOV und Blendenzahl ist auch die Schärfentiefe konstant
Je größer die Blendenzahl, desto höher die Schärfentiefe.

Das ist falsch, wenn man Objektive verschiedener Brennweiten vergleicht.
So hat ein f=25mm Objektiv rechnerisch in 3 m Entfernung bei Blende 2 etwa die gleiche Schärfentiefe die ein 100mm Objektiv in 3m erst bei Blende 32 erreicht!
Falsch aber auch, weil es eine natürliche obere Grenze für die Blendenzahl eines Objektives gibt. Diese Zahl heißt „förderliche Blende“.
Bei noch kleineren Blendenöffnungen sind Fehler, die durch Diffraktion hinzukommen größer, als der Zugewinn durch kleinere Öffnungen.

Ein Objektiv kann nie „zu gut“ sein.

Es kann vorkommen, dass die Auflösung eines Objektives zu gut ist.
Dann kommt es zum Beispiel zu sog. Farb-Moiré
Probleme tauchen dann auf, wenn das Objektiv sozusagen „mehr sieht“ als der Sensor.
Zur Vermeidung von Farb-Moiré kann man sog. OLPF (optical long pass Filter) einsetzen, die eine „Mindestunschärfe“ gewährleisten.

Bei C-Mount Objektiven beträgt der Abstand zwischen dem Flansch des Objektivgewindes und dem Sensor (Bildebene) 17,526 mm

Nur richtig „in Luft“.
Befinden sich aber zwischen dem Objektiv und dem Sensor noch Glasplatten / Filter (was meistens der Fall sein dürfte), so erhöht sich der tatsächliche Abstand um grob ca. 1/3 der Glasdicke.

Bei CS-Mount Objektiven beträgt der Abstand zwischen dem Flansch des Objektivgewindes und dem Sensor (Bildebene) 12.52 mm

Nur richtig „in Luft“.
Befinden sich aber zwischen dem Objektiv und dem Sensor noch Glasplatten / Filter (was meistens der Fall sein dürfte), so erhöht sich der tatsächliche Abstand um grob ca. 1/3 der Glasdicke.

Der Unterschied zwischen den Auflagemassen von C-Mount- und CS-Mount Objektiven beträgt 5mm

Nur gerundet richtig (17,526mm-12,52mm = 5,006mm).

Objektive ändern je nach Sensorgröße die Brennweite

Falsch. Am Objektiv ändert sich gar nichts.
Gemeint ist, dass der sichtbare Objektausschnitt je nach Sensorgröße ein anderer ist.

Festbrennweitenobjektive haben eine konstante Vergrößerung

Nur wahr für telezentrische Objektive.
Entozentrische und perizentrische Objektive haben in jedem Arbeitsabstand eine andere Vergrößerung.
siehe auch:
Vergrößerungsfaktor
, Vergleich entozentrischtelezentrischperizentrisch

Wenn Objekt und Sensor das gleiche Seitenverhältnis haben (z.B. 4:3), so sieht man das Objekt bildfüllend

Dies ist für die wenigsten Objektive wahr:
Situation: Mit einem 1/3“ Sensor von 4.8 x 3.6mm soll ein 120x90cm großes Poster aufgenommen werden. Überraschenderweise hat das Objekt 4:3 Format, der Sensor auch, aber das Bild nicht: rechts und links sieht man zu viel. 
Hintergrund dieses Phänomens ist die Verzeichnung. Hätte das Objektiv keine Verzeichnung, so wäre auch das Bild im 4:3 Format. Da Objektive aber im allgemeinen eine Verzeichnung haben die Richtung der Bildecken größer wird, so ist aus die Verzeichnung in vertikaler und horizontaler Richtung im Allgemeinen unterschiedlich (und also in horizontaler Richtung größer). Da Verzeichnungen bei den Objektivem am Markt meist negativ ist, „drängt“ also von rechts und links mehr Information ins Bild als gewünscht.

Nahe Objekte werden größer abgebildet als entfernte.

Dies gilt zwar für entozentrische Objektive, nicht jedoch für telezentrische oder hyperzentrische.

Der physikalische Abstand zwischen Objekt und Sensor bestimmt den Öffnungswinkel.

Speziell für kurze Arbeitsabstände falsch: ein f=6mm Objektiv und ein (längeres) f=5mm Objektiv können bei 100mm Abstand vom Sensor zum Objekt den gleichen Bildausschnitt bei unterschiedlichem Öffnungswinkel sehen.